Kalender 2025

Januar

Siggi Valhalla, unser Bullterrier-Staffordshire-Terrier-Mix, kam bereits im Jahr 2015 zu uns. Der damals ca. 3-jährige Rüde hatte im Tierheim seine Gassigeherin im Zwinger angegriffen und schwer verletzt, als diese Näpfe herausnehmen wollte. Auch sonst gab es immer mal Probleme, denn Siggi hat ein Problem damit, wenn man ihm Türen vor der Nase zumacht und ihn zurücklässt. Dabei handelt es sich nicht um Verlassensängste, sondern um Frust. Denn kommt man kurze Zeit später zurück und betritt den Raum, in dem Siggi sich aufhält, wird man wütend angegriffen. Siggi macht hier keine Gefangenen und lässt erst ab, wenn man ihn ebenso wütend darauf hinweist, dass dieses Verhalten weder hinnehmbar ist noch geduldet wird. Zumindest war das mal so. Mittlerweile hat sich Siggi vom Zwingerkoller und der enormen mentalen Belastung, welche er als junger Hund in seiner Familie erlebt haben muss, erholt.

Wie sich sowas äußert, dass ein Hund innerhalb der Familie mental überlastet ist? Siggi konnte über Jahre Menschen weder einschätzen noch deren nonverbale Kommunikation verstehen. So tat er vor allem eins: angreifen, wenn er die Gelegenheit dazu hatte. Man könnte jetzt davon ausgehen, er habe Schlimmes erlebt, körperliche Misshandlungen und Ähnliches, aber dem ist nicht so. Und selbst wenn, spielt dies bei Terriern, welche ihren eigenen Tod und Leid in Kauf nehmen, um potenzielle Beute zu hetzen und zu töten, eine eher weniger tragende Rolle, was die Entgleisung ihres Sozialverhaltens angeht. Gerade schwer misshandelte Hunde zeigen oft eher demütiges und zurückhaltendes Verhalten, da sie gelernt haben, dass Menschen gefährlich sind.

Bei Siggi ist die Problematik anders geartet. Angeschafft als etwas Besonderes, denn er sieht zugegeben schon sehr abgespaced aus mit dem Gesicht einer diabolischen Werratte in lackschwarzem Fell und mit einem Gangbild, das immer leicht fröhlich hüpfend und wippend oder gefährlich starrend und schleichend daherkommt. Siggis Gebell gleicht auch eher dem hysterischen Jagdschrei einer Horde Jäger aus den Amazonasgebieten und endet auch meistens irgendwo in der Menschenfresserei. Siggi ist ein Hund, der weiß, dass er stärker ist als Menschen, und dies vermutlich auch schon immer wusste. Er trägt das genetische Potential eines skrupellosen Jägers und fürchtet dabei weder Schmerz noch den Umstand, dass er ggf. selbst dabei draufgehen könnte. Ein körperlich sehr harter Hund, welcher auch beim Tierarzt nicht mit der Wimper zuckt, wenn er eine gerissene Kralle gezogen bekommt oder gespritzt wird. Vergewissert sich der Tierarzt allerdings durch zu langen Blickkontakt, ob es dem Patienten gut geht, wird Siggi ihn angreifen.

Man hat also eine gewisse Vorprogrammierung, welche in einer Familie gelandet ist, die vermutlich schon immer Hunde hatte und dachte, dass sie sich hier etwas Exklusives gönnt. Und wie es dann eben immer so ist … der Welpe zeigt schon in der Welpengruppe ein recht unerbittliches Verhalten, kreischt und kloppt auf die anderen Flauschbälle ein, weil diese so schön quietschen, und wird dann auch wie etwas ganz Besonderes behandelt. Ferngehalten, abgeschirmt und weggesperrt, das Wunschkind, welches nun als Problem gesehen wird. Das Potential entwickelt sich aber dennoch weiter und verselbstständigt sich unter den herkömmlichen Trainingsansätzen rasant, da diese hier nicht mal im Ansatz greifen können, da Hunde, die Menschen nicht als führungskompetent ansehen und diese im Zorn sogar töten würden, nicht in den Lehrbüchern stehen.

Willkommen in Valhalla. Siggi hat seinen Beinamen hart erkämpft. Als man ihn in einer 5-stündigen Autofahrt zu uns brachte, lag er schlafend im Kofferraum, den Rücken zugewandt, und man musste ihn wirklich animieren, aufzustehen. Er lief damals in die Hundegruppe, als hätte er nie etwas anderes getan, schmiss sich hin und wälzte sich vor 20 ihm völlig unbekannten Hunden. Da die damaligen Hellhounds sich ihm nicht näherten und eher zurückhaltend in der Kontaktaufnahme reagierten, wenn er auf sie zukam, wussten wir, dass von Siggi eine echte Gefahr ausging – er trug hier schon immer. Bereits am selben Abend noch sprang er eine Mitarbeiterin an und ließ nicht mehr ab, bis ich ihn von ihr runterholte, warf und wütend hinter ihm her tobte, ob er noch alle Latten am Zaun hätte.

Und auch in den folgenden Jahren griff er immer wieder Menschen an, welche sich hier als Mitarbeiter oder im Ehrenamt versuchten. Mal war es in Situationen, wo Leute zu schnell liefen, mal wurde er zu lange angeschaut, mal wollte ihm jemand einen Maulkorb anziehen oder ihn einfach nur ins Bett bringen. Siggis bester Freund war ein ebenso mürrischer Staffordshire-Bulldog-Rüde namens Opa Pete. Die beiden teilten sich über Jahre Körbchen und Zwinger, gingen zusammen Gassi und fraßen zum Teil sogar aus demselben Napf. Bis wir einen Praktikanten bekamen, den Siggi aufgrund von dessen körperlicher Einschränkung als nicht lebensfähig und damit als „kann weg“ einstufte. Der reine Anblick dieses Menschen ließ ihn aus der Haut fahren – und so kam es zwischen ihm und Pete zu einem wirklichen Ernstkampf, bei dem sich Siggi in Petes Schulter und Pete sich in Siggis Ohr verbiss.

Beide wurden damals durch uns getrennt und Pete mit Druckverband versorgt, da ein Gefäß beschädigt war. Danach war Siggi allerdings „an“ und ließ nicht mehr von dem Gedanken ab, dass man auch Jagd auf Artgenossen machen kann. Für Hunde wie Siggi wurde die HHF gegründet. Er ist ein vollblütiger Hellhound und wirklich nur von wenigen Leuten händelbar. Er ist hier der Praktikantenschreck schlechthin und kommt dennoch abends zum Schlafen und auch hin und wieder gekrault und gekuschelt werden mit hoch in meine Wohnung. Durch seinen damaligen Kampf mit Pete hatte er eine ziemlich heftige Vernarbung im Ohr, welche im Alter zu wuchern anfing. Eingriffe durch Ärzte müssen bei Hunden wie Siggi allerdings immer gut geplant werden und auf die Kooperation der Klinik ist dann auch zu hoffen. Denn die Nachsorge während des Aufwachprozesses aus der Narkose kann für Klinikpersonal sehr gefährlich werden und auch sonst stellen solche Hunde Ärzte vor krasse Herausforderungen, da sie ja in der Regel eher eingeschläfert werden als behandelt. Siggis OP verlief aber ab dem Zeitpunkt, wo die Narkose wirkte, gut und die Wucherung wurde entfernt.

Während der Behandlung aber erhielten wir einen Anruf, dass man nach der OP im Kontrollröntgen mehrere Schatten auf Lunge, Herz und Leber entdeckt habe und überlegte, ob es für Siggi nicht sinnvoller sei, ihn gehen zu lassen. Er war damals durch Stress und Futterumstellung tatsächlich auch körperlich nicht in bester Verfassung, zu dünn und struppiges Fell. Dennoch ging er spazieren, tobte durch Pfützen und fraß mit gutem Appetit. „Nein, Siggi kommt heim.“, war meine Antwort, und auch der Satz des Arztes, warum man nicht lieber drei nette Hunde rettet, anstatt einen gefährlichen, änderte daran nichts. Im Gegenteil.

Siggi kam also heim und erholte sich. Er ist auch heute im Alter von 12 Jahren noch topfit und bissig wie die Hölle. Ich habe von Siggi enorm viel gelernt in Bezug darauf, wie Hunde über Menschen denken, welche Emotionen sie spüren und wie krass sie werden können, wenn Menschen aus optischen Gründen und Gründen von Ansehen und Status Hunde vermehren, die über unsere gut gemeinte und liebevolle Tierhaltung hinauswachsen. Die Geister, die ich rief.

Stitch
Mit gerade mal 8 Monaten kam Stitch aus Hannover zu uns, kurz nachdem „Chicco“ dort zwei Menschen getötet hatte. Stitch hatte dies ebenfalls bei seiner Halterin versucht und ihr schwere Verletzungen im Gesicht und Brustbereich zugefügt. Weder Polizei, noch Feuerwehr noch Amtsveterinär gelang es, den Rüden im Garten zu sichern. Letztlich war es der Halter selbst, der den Hund im Garten mit einer Leine sicherte und dann auch dort mit seinen Kindern stehen gelassen wurde, ging ja nun wohl keine Gefahr mehr vom Hund aus. Eingestuft wurde er natürlich trotzdem. Der Halter selbst bekam Angst vor dem Hund und auch das Opfer, seine Frau, sah keine Zukunft mehr mit Stitch in einem Haushalt. Stitch hatte sie bei einer Übung im Garten von hinten angegriffen, als sie sich abwand, um Leckerchen zu holen. Er war sie mehrfach angesprungen, hatte sie zu Fall gebracht und sich in Gesicht, Händen und Schulter mehrfach verbissen.

Was so junge Hunde dazu bringt, so auszurasten? Stitch ist ein Bulldog-Mix mit einem extrem sportlichen und leichten Körperbau und frei atmend genug für den Kampf. Ein Kiefer, der zugeht wie ein Schraubstock und der zielsicher dahin beißt, wo er hin treffen will. Der Irrtum bei solchen Rassen ist, dass sie hart trainiert und konsequent im Gehorsam stehen müssen. Das heißt, es wird versucht, über Konditionierung/Dressur einen Hund zu formen, der einen absoluten Kadavergehorsam zeigt. Allerdings sieht die Realität oft so aus, dass es dann in der Erziehung viele Kompromisse gibt, weil er ja eigentlich auch ein guter Kumpel ist und grade noch der Kleine, der ggf. auch mal was nicht mag oder nicht möchte.
Diese Ambivalenz gepaart mit unangemessener Härte lässt einen Hund entstehen, der lernt, dass es in Konflikten keinen Ausweg gibt außer Strafe und Schmerz. Eine Bulldogge kann dies für sich aber wunderbar verpacken, züchtete man sie immerhin über Jahrzehnte nur für einen Zweck – Kampf.
Und so wie man ja keine Hetzspiele mit Terriern und Hütehunden macht, um Potentiale nicht in die falsche Richtung zu fördern, so sollte man einer Bulldogge auch nicht die Arena zeigen. Aber hey, darüber wird in der Tierliebe und im Tierschutz nicht geredet, denn Hund ist gleich Hund und keiner davon wird böse geboren. Böses Erwachen gibt es dann aber trotzdem, einfach weil fehlgeleiteter Beutefang oder noch blöder Menschenjäger noch nicht mal ein Problem darin sehen, uns weh zu tun. Und ja, Stitch wurde über seine Erziehung ungünstig getriggert und in ein Verhalten gefördert, zu der es bereits die Veranlagung gab – musste man immerhin die Welpen vor der Mutterhündin retten, da diese sie vernachlässigt und wohl irgendwann getötet hätte.
Toll.
Ich höre ja immer mal wieder von Kollegen: „Ja, ich arbeite ja auch mit schwierigen Hunden, aber nicht mit solchen, wie ihr sie da habt“.
Der innere Kinski in mir würde dann am liebsten losbrüllen: „Wer sind denn SOLCHE Hunde? Und wo kommen die her?!“.
Ich erkläre aber dann meist etwas trocken, dass diese SOLCHEN aus Familien stammen und grundsätzlich auch in der Kundschaft des Kollegen vorkommen können – da Hellhounds in den seltensten Fällen aus irgendwelchen Kellerverließen stammen, die aufgehen, einen ausspucken und sich dann wieder auf unbekannte Zeit verschließen. Sie entstehen, weil Menschen ihrem eigenen Willen folgen und ihre eigenen Fehler machen wollen.
Stitch ist auf jeden Fall ein krasser Fall von zu hartem Umgang, der in sehr rohem und abgehärtetem Verhalten mit seinem Gegenüber in einem schwachen/unterlegenen Moment (Rücken zudrehen) endete. Er ist nahezu darauf trainiert, Menschen in ihren Schwächen zu erkennen und greift dann an, ehe er angegriffen und mit für ihn undurchsichtigem „Training“ malträtiert wird.
Um sich von so einem Verhalten und der Selbstbestätigung, die er darin gefunden hat, zu erholen, wird Stitch Jahre brauchen. Jetzt, nach 7 Jahren, wird er langsam zuverlässig und vertrauenswürdig gegenüber uns, seinen Bezugspersonen – also 3 Menschen auf dem gesamten Planeten. Stitch wird nie vermittelbar sein, da Menschen dazu neigen, Maulkörbe abzuziehen und sich selbst zu beweisen, dass sie es wert sind, geliebt zu werden. Nur, dass Stitchs Verhalten weder was mit Liebe noch mit Hass zu tun hat. Er jagt uns einfach und lässt seiner kompletten Gewalt freien Lauf. Er lebt ein Potential aus, welches Menschen gezüchtet und im Nachgang ausreichend gefördert haben.
Wenn man seine Geschichte liest, bekommt man sicherlich hier und da Angst. Dennoch muss man seine Geschichte lesen – denn Stitch steht für etliche und ähnliche Hunde, die derzeit durch Deutschland laufen. Gesichert und ungesichert, trainiert und untrainiert, und er ist bei weitem nicht der einzige Hellhound mit dieser krassen Verhaltensweise.
Warum erhalten? Weil er von Anfang an nichts für menschliche Selbstüberschätzung und Ignoranz konnte, nun aber helfen kann zu verstehen und ggf. aus diesem Fehler zu lernen!

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