Odin (dringend)

Odin
Wir haben am Freitag, mit der freundlichen Unterstützung von Kollegin Elena (Andershund) einen Boerboel (Afrikanische Bauerndogge) zwecks Vermittlungshilfe unter die Lupe genommen. Der 3 Jahre junge Rüde namens Odin hat es sich als ein Vertreter einer starken Rasse zur Aufgabe gemacht stark zu sein. Und das ist er. Stark verunsichert, stark unkontrolliert und hart gestresst mit dem eigentlich recht simplen Task: Leben als Familienhund.
Er wurde als Welpe von einer Züchterin…ach ne Entschuldigung Vermehrerin im norddeutschen Raum für schlappe 1300 Euro an ein älteres Ehepaar verkauft, welches gerne nochmal einen netten, großen Hund haben wollte, nun nachdem die Kinder ausgezogen waren.
Wie schade, dass sie diesen Platz nicht an einen Hund aus dem Tierheim vergeben haben – aber die sind ja immer alle gestört.
Odin hingegen hat sich prächtig entwickelt für einen Boerboel mit angedeutet roter Nase und Labbischokoladenbraunem Fang und bernsteinfarbenen Augen. Sehr exquisit für einen Hund dessen Zuchtziel in Südafrika dazu dient fremde Menschen vom Grundstück fernzuhalten, wenn der selbstauslösende Flammenwerfer seinen Dienst mal verweigert. Andere Länder, andere Sitten und genau das richtige Potential für die Reihenhaussiedlung, back in good old Germany.
„Beim Blick in die Zuchtstätte hätte man eigentlich gehen sollen“ höre ich den Halter noch sagen. Aber auch er hat eben ein Herz und wollte wenigstens einem Hund aus diesem Wurf ein schönes Leben schenken.
Wissen Sie das Problem ist ja nicht das Mitleid – wenn man schlechte Haltungsbedingungen antrifft und helfen möchte, ist das ja erstmal legitim. Aber mit einem sauberen Bett und gutem Futter ist es dann eben nicht getan. Hunde aus solchen „Fabriken“ stammen von hochgradig gestörten Elterntieren, die dort leben bis sich einer erbarmt und sie, auf Grund von Zustand, Alter oder mit der Auferstehung einer neuen Hundemoderasse endlich im nächstgelegenen Fluss zu ertränken oder was meinen Sie wo die ganzen ungechipten und nicht registrierten Hundeleichen an unseren Ufern und Wegerändern neuerdings herkommen? Das sind die Abfallprodukte, die versucht haben sich zu wehren weil sie nicht mehr wollten. Die Makellos und gesund gestorben sind, weil Sie sich billig einen schönen Welpen schießen wollten.
Ihre Naivität, Emotionen und der Hang sich verantwortlich zu fühlen werden hier genutzt, um Geld zu verdienen und dabei geht man über Leichen. Sowohl Sie als auch der Produzent all dieser Hunde wo von Beginn an klar ist, dass nicht alle einen Käufer finden werden.
Ein grausames Bild ich weiß, aber seit Jahren wird gewarnt und niemand hört zu .Was Odin angeht , er hatte Glück. Man liebt ihn und sucht Hilfe und nicht einfach den simplen Weg übern Tisch, in die Spritze und ab in den Kühler.
Odin ist kein sicherer Hund, kein gefestigter Charakter und hat vermutlich nicht nur die Augen seiner Mutter geerbt sondern auch den dahinter verborgenen Stress, die Panik und all die Angst aus einem unwürdigen Leben heraus, aus dem es für sie kein Entrinnen gibt.
Es wurde alles für ihn getan, man war in der Welpenstunde und im Junghundkurs- dann kam Corona und Menschen die bis jetzt immer nette Hunde hatten erkannten ihren Auftrag nicht. Odin begann zu knurren und wehrhaft auf die einfachsten, alltäglichen Dinge zu reagieren. Streicheln, Augenkontakt oder auch ein Geschirranlegen waren irgendwann wie russisch Roulette.
Enkelkinder stellen, Nachbarn fernhalten und auch sonst dafür sorgen, dass keiner mehr zu Besuch kommen wollte, waren Phase zwei.
Ein Hund, dem es an nichts fehlte und der geliebt und umsorgt wurde. „Warum macht er das, wir haben ihm doch nichts getan?“
Bisher gab es keine schlimmen Verletzungen und alle kamen immer mit einem Schreck und ohne Anzeige davon. Aber das reicht eben nicht um irgendwen davon zu überzeugen, dass Odin Hilfe braucht und die Familie diese nicht geben kann- da für eine Wesensveränderung und eine Verknüpfung von Alternativverhalten schlicht das Wissen und die Erfahrung fehlt. Wir erinnern uns – diese Menschen wollten einen netten Familienhund und bekamen diesen dort auch zugesagt.
Was Odin angeht, er attackiert aus der Idee heraus, dass es keine andere Möglichkeit gibt. Im Umfeld wo er zu Hause und sicher ist, ist dies stärker und weitaus ernster gemeint als in einer anderen neutralen Umgebung- wie Elena, die die erste am Tatort war – feststellen musste.
Odin springt auf einen los und lässt dann erstmal nicht ab. Ein Boerboel in voller Blüte eben. Bei uns vor Ort hatte er weitaus öfter den Rückwärtsgang drin. Und natürlich kann man jetzt sagen: “Was wollen die denn, das steht doch in der Packungsbeilage“, und grundsätzlich ja ist das schon auch so ABER der Boerboel an sich ist seinen Haltern gegenüber eher loyal, da er mit ihnen ja mit der klaren Rollenverteilung zusammen lebt für Haus und Hof zu sorgen, es sei denn sie sind da und weisen ihn anders an. Und genau dieses Fundament fehlt. Zudem liegt Odins Verhalten eher im defensiven Bereich und ist sehr auf Selbstschutz bedacht.
Zustanden kommt ein solches Verhalten, wenn Hunde zu dem Entschluss kommen, dass ihre Menschen im Thema Sicherheit und Führung nicht weisungsbefugt sind. Platt gesagt stießen hier „das Wesen aus dem Keller“ und die Idee das Hunde sich im Wesentlichen von selbst erziehen wenn man einfach nett ist zusammen und kollidierten in einen Alptraum aus sozialer Isolation und einem Psychopathen im Haus, der jede Frage auf Nähe mit einer körpersprachlichen Morddrohung beantwortet.
Mit Hunden verhält sich unser Analphabet der nonverbalen Kommunikation genauso unbeholfen und bedrohlich und zerrt man ihn in den Vorhof der Hölle und damit in den Vorgarten der Hellhound Foundation läuft ihm beim angespannt dastehen und Wände anstarren der Durchfall am Hintern runter. Lernen bei Stress impossible also gabs ein kurzes Interview mit den Haltern, eine Durchsicht der Papiere und Unterlagen unter drohfixierenden Blicken vom Auslöser der Zusammenkunft und zwei, drei kurze Sequenzen mit zurück starren, voreinander stehen und ne Runde Gassi gehen.
Was ich (Vanessa) sagen kann, die dann auch einmal von Odin angesprungen wurde ist:
Odin ist grade in der Fertigstellung zum Erwachsenen Hund. Man merkt ihm deutlich an, dass er als Junghund viele Fragen hatte, die offen geblieben sind, da man sie schlicht nicht erkannt hat. Odin reagiert auf nonverbale Kommunikation zuerst irritiert, findet sich aber schnell ein und geht dann auch mit. Er kann durchaus Raum geben, anstatt auf einen los zu gehen und schafft es auch ein körpersprachliches Angebot als nette Geste anzunehmen und sich zu nähern.
Er steht unter starkem psychischem und körperlichem Stress, den wir hier oft bei Hunden erleben die aus entsprechend ungeeigneten Aufzuchtsstätten (Shelter im Ausland, Gefunden, Vermehrerstätten etc.) stammen. Wir gehen davon aus, dass sich der Stress und die Instabilität vom Muttertier auf den Welpen übertragen und dieser bei Weitervermittlung an sehr erfahrene Halter gehen müsste das fundierte Wissen über die Entwicklung und Unterstützung eines solch jungen Hundes besitzen. Es reicht eben nicht den Welpen überall mit hin zu nehmen , ihm alles zu zeigen und „Sitz“ und „Platz“ beizubringen. Es muss hier vielmehr geschaut werden wie der Welpe sich mit den gegebenen Umständen und Aufgaben arrangiert und ob ggf. kleinschrittiger oder näher an ihm gearbeitet werden muss. Dies erfordert ein hohes Maß an Wissen um Ausdrucksverhalten, Bedürfnissen und Kommunikation von Hunden und diesen untereinander.
Ich sehe unter den gegebenen Umständen also keine Chance, dass die Familie hätte alles richtig machen können, da sie dazu hätten Kurse in Sachen Hundepsychologie aufsuchen müssen was ihrem Ansinnen was den Kauf von Odin anging gar nicht entspricht.
Aber wie muss es nun mit Odin weiter gehen?
Grundsätzlich ist es so, wir sehen ein erhebliches Risiko für einen Vorfall, wenn Odin in der Familie verbleibt. Nicht weil man dort nicht zuhört, sondern weil Odin sich für diese Menschen wie ein Buch mit sieben Siegeln verhält.
Er ist an einen Maulkorb gewöhnt und trägt diesen, auch sofern er sich diesen aufziehen lässt.
Über seine Unsicherheit hat er eine Statusaggression entwickelt, die allerdings nicht Rangklärenden Charakter hat, sondern eine reine Selbstschutzfunktion darstellt. Odins Welt ist ein unsicherer Ort in der er allein kämpft. Allein unter Menschen, die er nicht versteht und die ihn nicht verstehen. Odin braucht nun also keinen Tierheimzwinger, wo sich seine Unsicherheiten zum ständigen Begleiter manifestieren, sondern direkten Menschenkontakt, bei dem er andocken kann. Menschen, die wissen, dass der Maulkorb unerlässliches Werkzeug in Odins Therapie ist, um beide Seiten zu schützen und einen gerechten Umgang miteinander ermöglichen. Leute, denen ein ausrastender Hund nicht unangenehm ist und die seine knurrenden Kommentare nicht persönlich nehmen und wissen, wie man einem Hund OHNE HILFSMITTEL vermittelt welches Verhalten gut ist und welches unerwünscht. Odin muss an die Hand genommen werden, er braucht Raum, um seine Aggressionen wieder in einen gesunden Rahmen zu kommunizieren und hin und wieder auch mal einen Schubser damit er nicht stehen bleibt und sich von seiner Unsicherheit einholen lässt.
Ohne Hilfsmittel, weil ihn der Umgang mit Futter maximal frustriert oder er so gestresst ist, dass er nichts möchte und dann wieder frustriert ist weil es da liegt. Und weil einen Boerboel von einem Konflikt abzulenken, um ihm eine heile Welt zu verkaufen einfach zynisch und gefährlich ist.
Der Neustart mit Odin sähe also so aus, dass man ein Haus, Grundstück und Zeit braucht. Man würde ihn zu Beginn (so hart es auch klingen mag- aber Odin ist es gewöhnt aus dem Kontext losgelöst angefasst zu werden – völlig egal was er grade kommuniziert) nicht anzufassen und auch auf Angebote seinerseits hin ein Anfassen oder Nähe provozieren zu wollen nicht eingeht und ihn körpersprachlich auf Abstand hält. Er braucht hier erstmal einen Rahmen seinen Menschen zu beobachten und einschätzen zu können ehe man ihn mit Strukturen konfrontiert die auch alte Verhaltensmuster hochholen (UND DAS GESCHRIEBENE GILT NUR FÜR ODIN NICHT FÜR LEUTE DIE MEINEN IHREN HUNDE IN DEM HIER GESCHRIEBENEN WIEDRRZUERKENNEN!!!). Währenddessen verhält man sich in all seinem Tun sehr klar und bewegt sich mit ihm und um ihn herum eindeutig. Wenn ich einen Raum verlasse, darf er die meiste Zeit folgen, es sei denn ich gehe in einen Bereich der ihm nicht zusteht – z.B. Klo. Ich schicke ihn körpersprachlich weg und verschwinde dann ohne weiteres diskutieren … da er am Anfang vermutlich knurrend zwei drei Schritte zurück geht- genau das wäre aber für einen Typen wie Odin schon gut. Ebenso kann ich ihn hin und wieder mal nonverbal auf irgendeine unbestimmte Liegefläche verweisen und diskutieren bis er liegen bleibt und versteht was „Kein Auftrag“ heißt und zur Ruhe kommen. Wichtig ist zu verstehen, dass das Knurren was er zeigt, nur noch wenig Gehalt hat, da er es als Strategie zu fast allem zeigt – auch wenn er eine Berührung z.B. mag. Das Knurren hat für ihn mittlerweile einen beruhigenden und selbstbestätigenden Charakter und wäre weiß Gott nicht der erste Punkt auf der Agenda den ich bearbeiten würde. Vielmehr wird es ihm in seiner Entwicklung vermutlich selbst zu viel und er lässt es irgendwann einfach bleiben und es kommt dann wieder im normalen und sinnvollen Kontext vor.
Anleinen würde ich ihn zu Beginn mit einer Retrieverleine, da man diese ohne weiteren Blickkontakt und Angegrabsche des Hundes Anlegen kann.
Im Umgang mit Odin ist das Anlegen eines Maulkorbes unabdingbar, sodass die räumlichen Gegebenheiten so sein müssten, dass Odin einen Bereich für sich hat, wo er den Maulkorb nicht braucht (gut eingezäunter Garten z.B. und Anschluss ans Haus mit Sichtkontakt zu seinem Menschen. Wo man ihn füttern kann und er sich draußen lösen kann. Optimal wäre eine Schleuse, die man zum sichern nutzen kann um den Maulkorb aufzuziehen (diesen würde ich zu Beginn nicht empfehlen mit der Hand aufzuziehen, da Odin Berührungen am Kopf durch Fremde nicht zulässt— bei Interesse gerne auf unserer Page unter Cluxtool (Link) schauen).
Nach ein paar Tagen kann man Odin Angebote machen sich zu nähern, fassen Sie ihn aber bitte dann nicht einfach an – für instabile Hunde ist es hier immer entscheidend, dass sie das Eis selber brechen. Machen Sie also ein Angebot und Odin nähert sich im steifen Gang oder neugierig nervös, freuen Sie sich einfach, dass er ran kommen kann.
Das Streicheln kommt noch früh genug. Und wenn es kommt, übertreiben Sie es bitte nicht, sondern nehmen sie sich zurück, bevor es am schönsten ist. Sowas ist für Menschen unheimlich schwer, weil wir uns emotional schwer regulieren können aber das überschwängliche was dann meist folgt überträgt sich auf derart geschundene Charakter seltenst via Ansteckung… eher endet es in einem Problem.
Woher ich das weiß? Ich habe 18 Jahre an der Intensität von Eisbrecherei und der Freude darüber geforscht und entsprechende Narben im Gesicht.
Anyway Sie sehen was für einen Sisyphusanalyse-Arbeit das alles ist und ich würde mich mit Freude hineinstürzen, wenn ich nicht voll wäre bis unters Dach und Ärger bekommen würde.
Man wird in der Arbeit mit Odin viel über Feintuning lernen können im Bezug auf eigene Wirkung und Intensität. WICHTIG: Und wenn er dann mal wieder eskaliert, was er tun wird, dann ist das kein Rückschritt, sondern ein Konflikt in einem Entwicklungsprozess, bei dem er bitte auch immer noch einen Maulkorb trägt. Denn dieser ist auch nach Monaten noch die Garantie, dass man in einer ungewollten, ungewohnten ggf. auch hektischen Situation nicht anschließend den Wesenstestbescheid im Postfach hat.
Angesprochen fühlen dürfen sich von diesem Post also wahnsinnige Hundemenschen, Hundetrainer aus dem Bereich Aggression und Unsicherheit, Pensionen mit Hausanschluss und Herr Verantwortungsbewusstsein und Frau Verstand.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit – lassen Sie uns Odin helfen.

Jetzt spenden!