Rasse | Bullterrier |
Geburtsdatum | 12.11.2016 |
Geschlecht | männlich kastriert |
Farbe | gestromt, weiße Abzeichen |
Loui (sucht Paten)
Oder auch: „Aha! Und wie lange dauert es, bis SO EIN HUND dann wieder vermittelbar ist?“ Na ja, im Zweifel ein Leben lang. Es soll Hunde geben, die nicht anpassungsfähig sind, und es soll auch Menschen geben, die sich gar nicht für die Hundehaltung eignen. Und genau diese Aspekte vereint Loui. Diagnostiziert mit der sogenannten Bulliwut. Wer nicht weiß, was das ist, hier der Versuch einer Erklärung, denn so genau weiß das niemand. Es gibt Erklärungsversuche medizinischer Natur, dass es eine Stoffwechselerkrankung sei, welche zu übersteigert aggressivem Verhalten führt und durch entsprechende Ernährung und allerhand teure Zusätze irgendwie heilbar ist. Betroffene Tiere zeigen häufig ein Einfrieren mit manischem Starren in Richtung einer Wand oder auch eines Objektes. Es können Zittern, Knurren oder Erstarren über Minuten oder Stunden auftreten. Diesem ganzen verspannten Druckaufbau folgt dann eine Entladung gegen sich selbst – mit nicht selten schnellem Im-Kreis-Drehen, Schreien und Selbstverletzung, oder das Ganze einmal nach außen gerichtet gegen den nächsten Stuhl, Hundehalter oder auch Hundekumpel etc.
Loui hatte Letzteres. Er erstarrte, fing an zu zittern und zu knurren und eskalierte gegen alles und jeden, der dann den Raum betrat oder zu dicht dran war.
Er verkrümelte sich in Boxen und schoss dann vor wie eine Muräne oder griff aus dem scheinbaren Nichts heraus Hunde an und verletzte diese schwer.
Hinzu kam, dass alles, was mit seinem Körper zu tun hatte – ganz egal, ob Krallenschneiden, Abtrocknen, Maulkorb anlegen oder Leine dranmachen –, für ihn der blanke Horror war. Er schrie, er kratzte und biss und kotete oder pinkelte sich zum Teil sogar ein.
„Das Leben ist hart und ich kann damit nicht umgehen – aber bitte komm mir nicht zu nahe.“ Ein ziemlich verlorener kleiner Hundemann, welcher wie ein kleiner Psychopath durch die Hellhound schlich und von dem man nie so wirklich wusste, was das nächste Problem werden würde.
Die Halterin kam aus der Twilight-Zone. Drogen, Gewalt, Körperverletzungen und viele unklare Emotionen prasselten jeden Tag in den eigenen vier Wänden auf den kleinen Bullterrier nieder. Mal Freund, mal Feind, mal musste man sich einfach nur vor ihr in Acht nehmen.
Aber so leben wir hier. Erstmal machen, damit nachher alle dastehen können, mit den Fingern zeigen und schimpfen, um sich dann in ihre Welt zurückzuziehen, wo gewiss alles viel besser wird. Auch Drogendealer werden nicht so geboren, und nein, nicht jeder hat die gleichen Chancen, da manches Elternhaus auch einfach scheiße ist und Genetik sich zu einer überlebensfähigen Masse formt und dabei weder auf fair noch auf menschlich Rücksicht nimmt. Gilt für Menschen wie für Hunde wie für Tiere allgemein.
Loui hat Zuchtpapiere und ein echtes Terrier-Erbe im Gepäck. Familienangehörige aus dem Ausland, welche Frettchen jagen und sich in Wildschweinen verbeißen. Ahnenlinien von Tschechien bis Amerika und eine emotionsgeladene Problemhalterin als Besitzerin. Eine Kombi, die gar nicht so selten ist und die Deutschland einfach nicht in den Griff bekommt.
Loui für seinen Teil lebt nun hier seit 2018. Zwei Jahre davon haben wir ihn komplett in Ruhe gelassen. Zwei Jahre lief er über die Anlage, schlief zum Teil draußen im Stroh oder im Wäscheschrank. Er begann zu zittern, sobald man ihn ansprach, und schlich dann mit gesenktem Kopf weg. Nachts hörte ich ihn manchmal in die Dunkelheit eskalieren und fand am nächsten Tag ein zerfetztes Hundekörbchen oder einen zugerichteten Baumstamm im Gehege. Zwei Jahre lang musste man die Trauer aushalten und runterschlucken und das Gefühl, ihm Nähe geben zu wollen, bekämpfen, da Nähe für ihn der absolute Horror war – hatte er ja gelernt, dass Nähe nichts mit Sicherheit zu tun hatte und auch schnell wehtat.
Und dann kam langsam Bewegung in die Sache. Loui erlebte uns ja dennoch tagtäglich im Umgang mit den anderen Hunden. Beobachtete und hatte seine Verstecke, wenn ihn die Angst einholte. Wissen Sie eigentlich, wie krass es sich anfühlt, jemanden in seinem Kampf mit Angst alleine lassen zu müssen? Hatten Sie schon mal richtig Angst?
Loui kämpfte sich da durch. Er verstand mehr und mehr, dass hier Grenzen gesetzt wurden, die Sinn machten, und ein Angebot auf Nähe auch ernst gemeint und ohne Echo kam.
Man sah ihn zunehmend auf der Anlage rennen, toben und spielen. Er lief neben Hunden her in die Küche, wenn wir da waren, und wedelte uns hin und wieder auch mal an.
Manchmal kam er in die Küche zum Schlafen, und zum Teil hielt er es aus, wenn wir ihn nachts, wenn er in einer der rumstehenden Boxen lag, zum Schutz der anderen Hunde (denn nachts war sein Verhalten schlimmer) dort einsperrten. Wenn er allerdings zu zittern oder knurren begann, wenn wir die Tür schlossen, wurde diese offengelassen, und es hieß für mich Halbschlaf und auf der Acht zu sein. Hunderettung ist eben ein Hobby, das man sich leisten können muss, wenn man sie wirklich retten will.
Hunde wie Loui sind für den deutschen Standard-Tierschutz rote Tücher. Den Standard-Tierheimzwinger hätte man nach wenigen Tagen nicht mehr ohne Angriff betreten können, und Gassigeher wären wohl eher zu Versuchskaninchen im Bulli-Roulette geworden. Zumal dort eine Beobachtung der Verhaltensweisen nicht herzustellen wäre – folgen Heime meist strikten Routinen, in denen die Hunde sich anpassen können müssen. Und es gibt genügend Fälle, wo genau dann eine sogenannte Ethikkommission darüber entscheiden darf, ob der Hund dort unter gegebenen Umständen weiterleben sollte oder besser getötet wird.
Loui hatte von Anfang an kaum eine Chance und auch schon einen Termin beim Arzt zur Euthanasie, da er seine Besitzerin in der Wohnung mehrfach angegriffen hatte. 1,5 Jahre hatte er dort gelebt. 1,5 Jahre, die ausreichten, seine Seele und seinen Verstand so zu zermürben, dass er zwei Jahre brauchte, um die Welt wieder zuzulassen und sich zu erholen.
Ist das fair?
Wir erlebten Höhen und ebenso viele Tiefen. Es gab wirklich tolle Tage und welche mit Rückfällen. Eingerissene Krallen zur Behandlung und Impftermine, die gemacht werden müssen, weil es das Gesetz so will. Danach gab es dann auch wieder ein Monster auf der Anlage mehr – allerdings erholte sich Loui tatsächlich von derartigen Eskalationen zunehmend schneller, da das Davor und auch das Danach normal und neutral blieben.
Ein scheiß Spagat, der hingelegt werden musste zwischen Emotionen und dem Willen, ihn vor weiteren negativen Erfahrungen schützen zu wollen, und dem Wissen, dass man da nun durchmusste, ohne es mit eigenen Bedürfnissen zu versauen. Ich weiß nicht, wie oft ich sein Prellball war und wie oft ich danach völlig außer Atem wenige Meter neben einem wiedermal verlorenen Hundemann saß und wütend und traurig die Zähne zusammenbiss.
Bis zum heutigen Tage ist es so, dass Loui in hektischen oder angespannten Situationen mit Vorsicht zu genießen ist. Allerdings ist sein wildes Schreien, das Erstarren, das Kreiseln und in Ecken starren einem selbstbewussten und orientierten Kerl gewichen, welcher heute soziale Konflikte auf gesundem Level klärt, sich nicht mehr versteckt und nachts bei mir mit im Bett schläft – denn katzenverträglich ist der kleine Terrorist auch noch.
Loui hat einen langen Weg hinter sich und wird von meiner Seite aus nicht mehr vermittelt, da ein einziger instabiler Mensch reichen wird, um sein ganzes relativ fragiles Weltbild wieder zum Einsturz zu bringen.
Seine Blutwerte sind im Übrigen vital, und er kämpft bisher Gott sei Dank auch mit keinerlei widerlicher, zuchtbedingter Erbkrankheit außer dem standardmäßig verformten Schädel.
Loui freut sich über Paten und Menschen, die nicht herkommen, um ihn zu streicheln.