Bizerba

„Dieses Jahr machen wir zwischen den Jahren mal nichts, wir müssen uns auf 2023 vorbereiten“, hör ich mich noch zynisch zu mir selbst sagen, während ich Equipment zusammenraffe für einen Einsatz. Die Polizei hat angerufen, es ist der zweite Weihnachtsfeiertag und anstatt Fresskoma hebt grade irgendwo eine Stunde oder so entfernt von uns, der ADAC Hubschrauber ab. Eine Frau war von ihrem Hund attackiert worden, nach einem ziemlich blutigen Kampf war es ihr gelungen sich von seinem Griff zu befreien und ihn ins Schlafzimmer zu sperren um sich Hilfe über die Feuerwehr zu organisieren.
Hoi! In der Haut von Rettungsassistenten möchte ich auch nicht stecken. Ausgebildet um Menschen zu retten aber oftmals wenig bis gar nicht geschult für den Fall, dass der fellige Verursacher ggf. noch in der Wohnung sitzt und auf den nächsten „Kunden“ wartet. In dem Fall war die Bestie hinter Schloss und Riegel und man konnte also schnell evakuieren.
Problem: Die Wohnung war nicht die der Geschädigten, sondern gehörte einem Freund, der grade nichts ahnend vom verspäteten Weihnachtsessen bei seinen Eltern zurückkehrte und dann spontan mit samt der Polizei beschloss draußen zu warten bis, … ja bis was eigentlich?
2ter Weihnachtsfeiertag… Tierheime abends unbesetzt und wenn das Vertragstierheim via Behörde auf der Notfallnummer erreicht wird gibt’s bei der Schilderung des Vorfalls allenfalls ein :“ Wer soll das Risiko jetzt weiter tragen? Ich kann meine Leute nicht gefährden tut mir leid, da sind wir raus“.
Verständlich- wenn ein Hund den eigenen Halter frisst was macht er dann mit Tierpflegern die nach so einem Vorfall die Wohnung betreten und ihn in einen Zwinger sperren?
Und das hat man in meinem Fall davon, wenn man Vorsätze laut ausspricht und das Diensthandy nicht ausschaltet. Alle Hunde grade im Begriff ins Bett zu gehen erreichte uns der verzweifelte Anruf der Polizei. Laura hielt den Hörer zu und flüsterte „Polizei“ als ich sie fragend anschaute. Ich rollte mit den Augen:“Echt jetz?!Jetz telefonieren die mir wegen dem letzten Strafzettel noch nach?“. Doch es sollte sich herausstellen, dass sich dieser Anruf  in die Hölle in der verzweifelten Hoffnung verirrt hatte, dass wir den Hund sichern und ggf. auch unterbringen könnten, da sich sonst niemand bereit erklärte dies zu tun. „Niemand …aha mal wiederdieser Niemand!“ und da wir uns wohl bewusst sind welche andere „Lösung“, es jetzt noch für den Hund gegeben hätte hieß es erstmal nicht labern sondern helfen.
Laut Navi waren es knapp anderthalb Stunden, die Straßen waren allerdings frei und so war ich nach einer knappen Stunde vor Ort. Während man in der Abenddämmerung so als Hellhound, die leeren Straßen runter in den Einsatz segelt, kommt man sich manchmal schon ganz schön cool vor. 20 Jahre Erfahrung mit bissigen Hunden passieren vor dem geistigen Auge und man ist gespannt was einen erwartet. Man lacht innerlich ein bisschen über die ersten Einsätze die man unvorbereitet irgendwie geschafft hat und schaut auf alles was sich verändert hat und wie das Projekt gewachsen ist. Die Beisser sind eine Klasse für sich, es schlägt einem teilweise der geballte Hass und die Wut über Jahre langes hinnehmen und brav sein entgegen. Tiere eben , die einen in ihren dunkelsten Stunden allerdings eben daran erinnern, dass wir im Grunde alle gleich sind.
 Vor dem mehrstöckigen Gebäude stand bereits ein Empfangskomitee bestehend aus dem Wohnungseigentümer und der Polizei, mit verhaltenen Blicken.  Zugegeben kommt man sich schon n bisschen cool vor, wenn man wie der Sniper oder Agent gerufen wird um die Mission zum Erfolg zu führen. Heldenhaft aufgeregt wie ich dann immer bin, hab ich mich erstmal direkt in meinen Kopfhörern verfangen die ich noch beim Einparken mit heftigem Handgemenge versuchte verschwinden zu lassen…hatte ich doch vergessen, dass das auch nicht so gern gesehen wird im Straßenverkehr. Ich stieg halbwegs cool aus, grüßte alle und ging souverän zur Heckklappe öffnete beide Bustüren um Sniper mäßig meine Tasche mit dem Sicherungsbesteck zu greifen um dann aber festzustellen: Heckraum leer. Die Tasche mit Maulkörben, Cluxtool , Sicherungsleinen und Leckerli stand demnach wohl wohlig warm in Hörpel im Eingangsflur im Hundekörbchen. Bravo Frau Bokr haben Sie nicht eben noch über ihr jüngeres unvorbereitetes ICH gelacht.
Nach einer halben Minute unter den Frontsitzen  Umhergekrieche und Kaffe in der Fahrerkabine verschütten hatte ich dann immerhin zwei leicht verfusselte Maulkörbe sowie eine Fangleine gefunden.
„Kann los gehen!“, schnaufte ich und wedelte die Maulkörbe ab in der Hoffnung dabei unauffällig auszusehen. Deadpool wäre stolz gewesen…
„Brauchen Sie noch was? Wir haben einen Schutzanzug dabei?“,fragte mich einer der Polizisten mit verunsichertem Blick.
„Ach was, geht schon ! Was für ein Hund ist das denn eigentlich?“- und damit kam ich mir gleich noch viel professioneller vor- war ich beim Telefonat doch so erleichtert dass es nicht um meine Strafzettel ging , dass ich glatt vergessen hatte zu fragen. Wer fragt auch nicht kurz vor dem finalen Kampf wer eigentlich der Endgegner ist?
„Ein American Bully XL“, tönte es vom durchgefrorenen Wohnungsbesitzer. Kurzer Blick auf die Maulkörbe „Oi, Glück gehabt, könnt passen“.
Den Schutzanzug, mal als Erklärung für alle da draußen, habe ich in dem Moment abgelehnt, weil man sich in diesen kaum bewegen kann, durch die starre Körperhaltung oft sehr bedrohlich wirkt. Und wenn man dann mit knapp 1,70m auch noch so klein geraten ist wie ich , passt man erfahrungsgemäß in Leihgaben nicht richtig rein- was wiederum dazu führen kann, dass man wie Patrick Star, aus SpongeBob einfach umklatscht und Kopf und Gesicht nicht mehr geschützt sind, was ich aus meiner Zeit auf Hundeplätzen mit Schutzdiensttreibenden weiss.
Sich also in unbekanntem Umfeld damit zu orientieren und souverän zu bewegen ist ziemlich heikel, wusste ich ja bereits, dass ich den Hund hinter einer Tür sichern musste, wo ich dann mit dem ausgesteiften Ärmel des Anzuges hätte durchgreifen müssen. Dies hätte  einen sehr weiten Türspalt erfordert, was wiederrum dazu hätte führen können, dass der Hund sich durchdrückt und mich in der Wohnung umgeschmissen hätte.
Was ich auch ziemlich sicher sagen konnte war, dass die Beteiligten im Notfall eingreifen würden, der Gedanke aber, dass keiner davon wirklich wusste was er tun müsste wenn ich den Seestern machte und der Hund mir in seiner Aufregung  im Gesicht hing, untermalte meinen Beschluss mich in dem Fall um mich selbst zu kümmern einmal mehr. Eventualitäten berücksichtigen ist hier äußerst ratsam.
 Sehen Sie, es ist kein Problem bei der Sicherung von gefährlichen Hunden klein und mit Laucharmen ausgestattet zu sein, sofern man darum weiss und sich mit diesen Gottgegebenen Werkzeugen auskennt.
Wir stapften also die Treppen hoch und so unsicher wie ich im Umgang mit fremden Menschen bin umso sicherer war ich als ich in die Wohnung kam. Es geht nicht darum Angst vor Fehlern etc. zu haben sondern mehr darum, dass jemand der in einer Seifenblase aus bissigen Hunden und Problemen für die keiner so richtig eine Lösung hat, irgendwann eben genauso ist, man nimmt alles mit Humor und wirkt arrogant bis leichtsinnig und wenig normal auf Außenstehende … ein Zustand den man bei einer derartigen Aktion nicht grade vermitteln will.  Ich wiess die Helfer kurz an, im Treppenhaus zu warten und Abstand von der Haustür zu nehmen, falls etwas schief ging und ich flüchten müsse und latschte rein.
Ein Hausflur lag vor mir , zur Linken die Küche, rechts der Eingang zum Wohnzimmer mit dem dahinter liegenden Schlafzimmer. Noch im Flur stieg mir der Geruch von kaltem Blut in die Nase. Wussten Sie dass man Angst riechen kann? Natürlich ist dies überwiegend der Geruch von Schweiß der sich mit dem Blutgeruch vermischte aber auch eine scharfe Note. Schlachthäuser riechen so und Flure nach einer Kneipenschlägerei. Kurzes Innehalten und im Kopf den Weg zum Ausgang durchgehen, einmal schauen ob der Weg frei von Kissen etc. ist, da man beim Betreten so einer Szene oft unbewusst weil hochkonzentriert Stolperfallen übergeht, die dann aber auftauchen wenns schnell gehen muss. Dabei fielen mir ein paar Blutspritzer hier und da und eine blutige Decke die wohl im Raum fallen gelassen wurde auf. Ich schob sie zur Seite. „Na ja geht ja noch irgendwie.“
Ein dumpfer Schlag, Krallen fuhren von innen übers Holz der Tür.
Natürlich war im Schlafzimmer das Licht aus und der Lichtschalter befand sich im Inneren des Zimmers, als ich die Tür einen Spalt öffnete. „Okay geht gar nicht“, hier wurde der Blutgeruch schlimmer und aus dem Zimmer strömte Kälte , es war wohl ein Fenster geöffnet.
Ein dunkles knurren drang aus dem Nichts.
„Huhu, na Spatzel, komm doch mal zur Tür, damit ich dich sehen kann!“, hörte ich mich trällern wie der Wolf bei den sieben Geißlein und fing augenblicklich an über die ganze Situation zu lachen. Im Zimmer entspannte sich die Lage durch ein Schüttelgeräusch und leichtes klackern der Krallen übers Laminat. Zwei funkelnde Augen traten aus dem Dunkeln gefolgt von einer grauen Schnauze die sich mitsamt Bollerkopf durch den Türspalt drücken wollten. Ich zeigte der Nase und dem leicht verzerrten Gesicht, welches wie bei The Shining durch die Tür gequetscht wurde die Schlingleine. „Ey setz Dich mal und hetz mich nicht“, sagte ich etwas strenger und wurde ernst genommen. Leine überfädeln ging relativ problemlos. Die Leine fixierte ich von außen am Türgriff, wusste ich ja nicht wie mein neuer Freund hinter der Tür auf den Anblick eines Maulkorbs reagieren würde. Ich hielt den immer noch fusseligen Korb, bei dem mir erst jetzt ein festgeklebtes Gummibärchen am Gehäuse auffiel vor die neugierige Nase. Fang und Stirn vom Hund schimmerten kupferfarben, allerdings war er eigentlich ein sogenannter Blueline und die Tönung unfreiwilliger Farbton der Besitzerin.
Ich setzte den Maulkorb selbstbewusst auf die Nase und liess ein bisschen mehr Leine sodass der vollständige Kopf durch den Türspalt passte. Ich stand so, dass ich mich im Fall der Fälle gegen die Tür werfen konnte und ihn einklemmen würde wenn er sich doch entschied auszurasten. Doch dies geschah nicht. Später erfuhr ich, dass er und seine Halterin 40 Minuten gekämpft hatten. Also alle Aufregung umsonst, ich hätte ihm auch einen Chai Latte mitbringen können und er wäre mitgekommen so fertig wie er war. Also Maulkorb auf, mehr Raum geben und dann erstmal lustig miteinander sein in einem Setting aus einem Horrorsplatter.
Wir werden immer mal darauf aufmerksam gemacht, dass wir sehr viel Humor haben und in den schlimmsten Momenten einer Situation noch etwas abgewinnen können. Genau das lernt man in diesen Momenten, wo man erstmal für jemanden da ist den der Rest der Welt vergessen will. Man steht mit einem Brecher auf verbrannter Erde und die Zeit bleibt kurz stehen. Wem bringt es was wenn man sich jetzt von Umfeld und Situation anstecken lässt? Wir stehen nicht auf diesen Kriegsschauplätzen um Seiten einzunehmen sondern um einem Lebenwesen zu helfen und Dinge aufzuklären.
Hunde kooperieren in solchen Momenten oft weil sie selbst nicht mehr wissen wohin und müssen nicht mit Fangstangen, Betäubungsmitteln und Angst geholt werden. Sie brauchen klare Menschen die mit ihnen die Situation aushalten und einen Plan haben wo der eigene endet.
Natülich kam Bizerba an diesem Abend  auf ein nettes Angebot von mir hin dann auch mit mir mit und wir stiefelten cool wie Eisbärscheisse nach draußen wo sich wohl jeder vor allem darüber freute die unorganisierte Kuh nicht selbst noch vom Eis gerettet haben zu müssen.
Bizerba sprang unten angekommen bereitwillig in den Bus, es gab eine kurze glückliche Verabschiedung  aller an jeden und wir jagten die Autobahn hoch zurück in die Hölle.
Was Bizerba angeht so erfuhren wir später, dass er bereits eine weitere Person und einen Hund schwer gebissen hatte. Trauriger Höhepunkt dieser selbstständigen Entwicklung war die ernste Beschädigung die er gegenüber der Halterin gezeigt hat.
Wir bekamen im Verlauf auch Bilder von deren Verletzungen zugeschickt welche man als Fadenmosaik aus der Chirurgie bezeichnen könnte.
Bislang können wir folgendes sagen. Bizerba hat ein ruhiges und ausgeglichenes Gemüt bei aggressiver Grundstimmung unter den Hunden oder aber auch gegenüber Menschen die sich auffällig laut oder hektisch bewegen schlägt sein Gemüt um und Bizerba geht in die Attacke über. Es ist möglich, dass er in aufgeheizten Situationen keine andere Möglichkeit sieht außer zu attackieren. Dies lernen Hunde vor allem wenn sie in jungen Jahren sehr streng gehändelt werden und lernen das Konflikte ausweglos und lebensbedrohlich sind – wobei dies von Hund zu Hund in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Sensibilität wahrgenommen werden kann. Ein Runterdrücken z.B. kann dem einen als angemessene Reaktion erscheinen während der nächste psychische Schäden davon trägt. Weshalb grade bei den großen, starken Rassen von derartigem Verallgemeinern in der Erziehung abzuraten ist. Leider ist es grade bei den großen und schweren Rassen weit verbreitet, sei es durch Druck von Außen oder Stigma durch Behörden diese mit einer gewissen Härte zu erziehen. Diese ist bei Rassen die Terrier und Bulldoggen beinhalten oftmals aber eher schädlich, da beide sich durch eine gewisse Furchtlosigkeit und verbissenes Dranbleiben an Beute, Kontrahenten etc. auszeichnen. Was mit Nichten heisst, dass dieser Hundetyp völlig ohne gesunden Aufbau einer Frustrationstoleranz gegenüber Grenzen auskommt. Aber grade mit körperlichen Argumenten beisst man sich hier vermutlich die Zähne aus. Nach wenigen Tagen flog dann auch Bizzys Akte bei unserem zuständigen Amt auf den Tisch und wir wurden ebenfalls , wenig überraschend, darüber informiert dass Bizerba zukünftig einen Wesenstest brauchen wird und es ist fraglich ob man alle Trigger findet, die ihn derart gefährlich werden ließen.
Und hier noch eine kurze Kritik an der aktuellen Lage: Wir sind im Jahr 2023. Wenn wir uns die immer häufigeren und heftigeren Unfälle und Vorfälle mit Hunden anschauen lässt sich, sofern man nicht blind vor Angst einfach einschläfert schnell erkennen, dass bei der Aufarbeitung dieser Fälle allerlei Probleme und Auslöser auftreten NIE aber das Ergebnis, dass einer dieser Hunde von Beginn an so war. Dies wiederrum lässt doch ggf. den Schluss zu, dass es für die Hundehaltung ungeeignete Menschen oder auch im allgemeinen ungeeignete Hundehaltungen gibt die zu diesen Problemen führen. Lassen wir es weiter so laufen werden wir sehr bald da landen worüber der gemeine Tierschutzpöbel sich aufregt. Bei der Tötung gesunder Tiere auf Grund von Überfüllung und Verhaltensprobleme die der Mensch selbst erzeugt hat. Zumal die Rechnung der Behörden erst tätig werden zu können wenn jemand ausreichend verletzt wurde ein doch recht unbefriedigendes Ergebnis ist. 1 Toter Mensch = 1 toter Hund. Ja muss man das denn so dramatisch schreiben? Ja kann man.
Bizerba lernt hier sehr schnell und ist dem Menschen sehr zugetan. Es wird wohl eine Weile dauern, bis man genaueres zu seinem Wesen und zu seinen Auslösern sagen kann. Seine Familie unterstütz ihn mit einem für sie monatlich aufbringbaren Betrag da ihnen der Werdegang von Bizz nicht egal ist. Wir hoffen, dass sich da draußen noch ein paar Leute finden, die Bizerba und unser Projekt unterstützen wollen und in diesen zugegeben nicht ganz einfachen Zeiten auch können.
Wer uns in unserer Arbeit und Bizerba auf seinem Weg begleiten will kann dies gerne unter folgenden Adressen mit einer Spende tun :
IBAN: DE74 2585 1660 0055 1589 50
BIC: NOLADE21SOL
PayPal: info@hellhound-foundation.com
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